Die Pharmaindustrie schwört darauf, der Hausarzt schüttelt entnervt den Kopf. Was ist dran an den Gerüchten über die scheinbar magische Wirkung des „Schönheitsvitamins“ Biotin? Aufmerksam wurde die Medizin auf das kleine Wunder erst durch einen zum Zweck der Forschung herbeigeführten Mangel.
Probanden, deren körpereigene Biotinreserven erschöpft waren, litten in der Folge an deutlich sichtbaren
- Hautproblemen
- Haarverlust
- brüchigen Nägeln
Nach therapeutischer Verabreichung von Biotin erholten sie sich die geschädigten Bereiche schnell.
„Biotin für schöne Haut, glänzende Haare und starke Nägel!“ – ein Mysterium war geboren. Lange Zeit wurde das Vitamin auf diesen Effekt reduziert. Inzwischen weiß man: Biotin kann mehr!
Biotin und Fingernägel?
Biotin, auch Vitamin H oder Vitamin B7 genannt, ist ein unverzichtbarer Bestandteil verschiedenster chemischer Prozesse im Körper. Es kann vom menschlichen Organismus nicht eigenständig hergestellt werden, wird aber auf intelligente Weise in der Stoffwechselproduktion wiederverwertet.
Zusätzlich finden sich in unserem Darm bestimmte Bakterien, die Biotin freundlicherweise für uns produzieren. In vielen Lebensmitteln ist Biotin in Kleinstmengen enthalten, die ausreichen, einem Mangel vorzubeugen.
Ein gesunder Mensch verfügt bei ausgewogener Ernährung über ausreichend Biotin, sodass manche Menschen bisweilen sogar mehr davon ausscheiden, als sie zu sich nehmen.
Welche Lebensmittel beinhalten viel Biotin?
Um eine Unterversorgung muss man sich bei normalen Gesundheitsverhältnissen hierzulande keine Sorgen machen. Das Biotinvorkommen ist in Lebensmitteln etwa ebenso weit verbreitet wie seine Aufgaben im menschlichen Organismus.
Vergleichsweise „hohe“ Werte finden sich in Hefe, Innereien, Sojabohnen und Haferflocken. Online finden sich inzwischen reichlich Rezeptvorschläge, die verschiedene hochkarätige Lebensmittel miteinander kombinieren, um daraus leckere und gesunde Mahlzeiten zu kreieren.
Der Richtwert einer Tagesdosis entspricht ungefähr 30 – 60 Mikrogramm
Wofür ist Biotin gut?
Stoffwechselkatalysator
Die Hauptaufgabe von Biotin liegt in unserem Darm. Als Teil einer prothetischen Gruppehilft Biot in der enzymatischen Aufspaltung von Kohlehydrat-, Fett- und Eiweißmolekülen.
Dabei hat sich ein interessanter Recyclingvorgang herauskristallisiert: Biotin wendet sich zunächst an ein Enzym namens Carboxylase, das unter Aufbietung all seiner Kräfte derweil versucht, ein Fettmolekül zu spalten. Dankbar nimmt es Biotins Hilfe an und gemeinsam knacken sie das Fett.
Leider geht ein Teil von Biotin dabei drauf. Nun erscheint eine freundliche Krankenschwester, die Biotinidase, und verhilft Biotin mittels einer weiteren chemischen Reaktion wieder zu seiner ursprünglichen Form und Größe. Damit kann der Prozess von vorne losgehen.
Das klingt unnötig kompliziert, ist aber unbedingt nötig. Ohne Biotin als zusätzlichen Katalysator könnten die Enzyme nicht annähernd so effektiv arbeiten. Das wiederum würde über kurz oder lang zu einem allgemeinen Nährstoffmangel führen.
Epigenesebeschleuniger
Epigenese beschreibt die zeitweilige Aktivierung von Erbgutinformationen im Zellkern, die bestimmte Prozesse innerhalb der Zelle in Gang setzen.
Im Kern einer jeden lebenden Zelle befindet sich ihr Erbgut und damit alle Informationen, die sie für ihre Aufgaben im Organismus benötigt. Die einzelnen Erbinformationen sind in Hüllen verpackt.
Diese heißen Histone. Biotin kann die Ablesbarkeit der Gene regulieren, indem es gezielt an die Histone bindet und somit eine Modifizierung herbeiführt.
In kurz: Biotin verhält sich wie eine vorbildliche Teamassistenz und verpackt alle To-do-Listen und Gebrauchsanweisungen der Zelle gut lesbar in schützende Klarsichthüllen.
Ohne Biotin würde im zelleigenen Aktenschrank ein heilloses Durcheinander herrschen, das wiederum wirkt sich natürlich entsprechend auf die Gesundheit und das Erscheinungsbild des gesamten Organismus‘ aus.
Forschungsobjekt mit viel Potential
Biotin ist fast überall im Körper enthalten und an den meisten Prozessen in geringen oder ganz entscheidenden Konzentrationen beteiligt. Das ergab die mikrobiologische Forschung der letzten Jahrzehnte. Zum Beispiel unterstützt es unsere B- und T-Zellen in der Immunabwehr, sorgt für eine normale Nervenfunktion und ist wichtig für die Erhaltung von gesunden Blutzellen.
Die Wissenschaft vermutet noch weitere Vorteile von Biotin, dessen Wirkung auf unseren Körper besonders im Hinblick auf chronisch-entzündliche Krankheiten derzeit untersucht wird.
Zum Beispiel versucht man, den Neuaufbau der Myelinscheide von Nervenzellen bei Patienten mit multipler Sklerose durch die gezielte Gabe von Biotin zu beschleunigen.
Was kann ein Mangel für Auswirkungen haben?
Da das fehlende Biotin in erster Linie die Enzymtätigkeit unserer Nährstoffverwertung hemmt, wird ein Biotinmangel häufig auch als „multipler Carboxylasemangel“ bezeichnet.
Ohne Biotin können unsere Enzyme die aufgenommene Nahrung nicht mehr so effizient verwerten. Das dadurch entstehende Nährstoffdefizit muss der Organismus irgendwie ausgleichen, also wird da gespart, wo wir es am besten verkraften können.
Die Qualität von:
- Haaren
- Haut
- Nägeln
lässt deutlich nach! Wir können also sagen, dass Biotin für Fingernägel mindestens nicht schaden kann! Aber hilft Biotin gegen brüchige Fingernägel?
Zusätzlich können Müdigkeitserscheinungen auftreten, Muskelschmerzen und eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen.
Wirklich kritisch wird es, wenn Organfunktionen beeinträchtigt werden, die Wundheilung nicht mehr reibungslos verläuft und im Fall einer Schwangerschaft das Kind im Mutterleib nicht mehr ausreichend versorgt wird.
Wodurch entsteht ein Biotinmangel?
- Die Auslöser eines Mangels können vielerlei Herkunft sein. Antibiotika spielen eine große Rolle bei der Zerstörung des natürlichen Biotingehalts: Bekanntermaßen schädigt die Einnahme von Antibiotika über längere Zeit die Darmflora und damit die Bakterien, die Biotin für uns herstellen.
- Ähnliche Auswirkungen können durch die Einnahme vergleichbarer Medikamente oder Alkoholismus entstehen. Nach Operationen, die den Darm verkürzen, muss Biotin ebenfalls vermehrt von außen zugeführt werden.
- Selbes gilt für Nierenerkrankungen und Dialyse-Behandlungen.
- Während einer Schwangerschaft kommt es häufig zu einem Biotinmangel, da der Bedarf für das ungeborene Kind zusätzlich gedeckt werden muss.
- Beim Verzehr großer Mengen roher Eier ist besondere Vorsicht geboten. Diese enthalten einen Stoff namens Avidin, der sich dermaßen fest an unser Biotin bindet, dass dieses buchstäblich aus dem Nährstoffkreislauf herausgelöst und zusammen mit Avidin ausgeschieden wird.
- Es gibt außerdem seltene angeborene Krankheiten wie den Biotinidasemangel und den Holocarboxylase-Synthetase-Mangel.
Die Erforschung dieser speziellen Krankheitsbilder läuft derzeit auf Hochtouren.
Welche Nahrungsergänzungsmittel gleichen einen Biotinmangel aus?
Laut wissenschaftlicher Forschung – keine. Zumindest keine frei verkäuflichen.
Eine Vielzahl begeisterter NutzerInnen auf YouTube, Blogs oder in einschlägigen Zeitschriften berichten dagegen von wundersamen Wirkungen, wie z.B. verstärktem Nagelwachstum durch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln oder speziellen Cremes und Shampoos, die Biotin enthalten.
Derer gibt es viele: Biotin lässt sich chemisch wirkungsvoll synthetisieren und findet in seiner künstlichen Form reichlich Abnehmer in verschiedensten Einsatzgebieten.
Von der klassischen Tablettenform bis hin zu der Verwertung in Hundefutter.
Fakt ist: Eine Überdosierung durch Biotin scheint nicht möglich zu sein. Das Biotin, dass wir durch Kosmetika und Nahrungsergänzung zusätzlich zu uns nehmen, wird im schlimmsten Fall unverbraucht wieder ausgeschieden.
Wer auf Nummer sicher gehen will, kann also unbesorgt sein – ob’s hilft, sei dahingestellt, schaden kann es jedenfalls nicht.
Bei einem erwiesenen Mangel reicht allerdings auch eine strenge Biotin-Diät nicht aus. In diesem Fall muss unbedingt hochdosiertes Biotin therapeutisch zugeführt werden. Ob ein solcher Mangel vorliegt, kann nur ein Arzt vermittels einer Blutprobe feststellen.
Fazit
Biotin hat sich in den letzten Jahren den erfreulichen Ruf eines sensationellen Schönheitsmittels erworben. Der tatsächliche Wirkungskreis in seiner Gesamtheit wurde bislang rein wissenschaftlich noch nicht zur Genüge erforscht.
Mit Bestimmtheit lässt sich sagen, dass Biotin für unseren Organismus unverzichtbar ist – für den reibungslosen Ablauf von Stoffwechselprozessen, für die Ausbildung und den Erhalt unterschiedlichster Zellen, für unser Immunsystem.
Trotzdem läuft die Aufnahme des Vitamins eher nebensächlich und praktisch unmerklich ab.
Chemisch synthetisierte Biotinprodukte erfreuen sich derzeit zwar einer regen Begeisterung, deren tatsächliche positive Wirkung wurde allerdings unter medizinischen Gesichtspunkten noch nicht bewiesen.
Apothekenpflichtige, hochdosierte Präparate dagegen können einen erwiesenen Mangel durchaus ausgleichen und im Extremfall eine lebenswichtige Maßnahme darstellen. Wer sich nur der Schönheit wegen auf die Wirkung von Biotin allein verlassen will, sollte ein gesundes Maß an Vorsicht walten lassen.
Es ist auch nicht immer sofort heiß, wenn die Sonne scheint. Das weiß jeder, der in unseren Breitengraden schon mal zu Weihnachten im Bikini spazieren war.
Und im menschlichen Organismus lassen sich „schöne Haut, Haare und Nägel“ nur schwerlich auf die Einnahme eines einzelnen Vitaminpräparats zu….